Brief an Meister Balduin von Corvus von der Aue


Verehrter Meister Balduin,

ange ist es her, dass sich unsere Wege trennten, und keiner weiß wie lange es dauern wird, bis wir uns wiedersehen...? Es wird Euch wohl kaum überraschen wenn ich das sage, aber es sind immer noch wahrhaft schwere Zeiten für die Aue! Manches mal scheint es mir fast, als wären wir gerade aus einem jahrhundertewährenden Schlaf aufgewacht und blickten uns ungläubig und staunend um, was da alles so passiert in der Welt, in der Aue... Ich bin zu jung als dass mir solche Worte zustünden, aber ich kann es Euch leider nicht besser beschreiben und ich würde viel dafür geben, dass Ihr jetzt an meiner Seite wärt um mir zu erklären, was das alles zu bedeuten hat...?
Indes, Euer Weg ist ein andere! Aber ich bin froh zu wissen, dass Ihr, mein Meister, mit Eurem Gedanken und Eurem Segen immer bei mir seid.

ie Ihr mir einst riet habe ich versucht, die Chronik der Aue fortzuschreiben und so für alle Zeiten festzuhalten, was der Aue in den letzten Jahren seit Schrumpfs verschwinden wiederfahren ist. Ich habe für Euch soeben eine Abschrift fertig gestellt - ich muss Euch jedoch um Nachsicht bitten, denn meine Schreibkünste sind bescheiden und so habe ich teilweise auch auf die Kobold-Protokolle des wehrten Paipa Douglas zurückgegriffen.

ie ja schon in der Chronik steht wurde ich auch in diesem Jahr beauftragt, eine Gesandtschaft in die Welt der Dracheninseln zu führen, und ich möchte Euch hierzu auch um Rat ersuchen. Zuvor jedoch sollt Ihr wissen, was noch nicht in der Chronik niedergeschrieben steht:
Bei der Ratsversammlung im achten Jahr nach der Sternenwende wurde nämlich auch beschlossen, diese zweite Frucht des Baumes des Lebens in der Aue einzupflanzen, und zwar am großen Versammlungslatz direkt unten am Kaiserbach. So tat man es auch. Nur wenige Tage später schon zeigte sich ein Sprössling - und binnen zweier Wochen ward schon ein richtig kleines Bäumchen gewachsen. Ähnlich dem Mutterbaum in der Welt der Drachen umströmt auch dieses Gewächs eine außergewöhnliche Kraft, eine lichte Form der Magie würde ich sagen, die wie ein steter Singsang lieblicher Elfenstimmen den Zuhörer tief in seinen Bann zieht.
Auch ich verbrachte, wie Ihr Euch denken könnt, von da an viel Zeit damit diesen magischen Weisen zu lauschen, und auch wenn diese Zauberkraft bedenklich mächtig zu sein scheint konnte ich doch zu keinem Zeitpunkt destruktiven Schwingungen vernehmen. Vielmehr ist es sogar möglich, sich von diesen Klängen getragen in eine tiefe und schwere Meditation zu begeben, und in Kontakt zu treten mit dem Geist, der diesem Baume innewohnt. Auch andere spirituell Begabte erlebten ähnliches - es schien geradezu, als würde der Baum in diesen tranceartigen Zuständen direkt mit uns zu sprechen, aber dazu später mehr...
Es fällt mir merklich schwer, das Erlebte in Worte zu fassen oder gar wiederzugeben, was der Geist des Baumes gesprochen hat, da ich die Wahrnehmungen aus dieser Meditation stets nur für kurze Zeit bewahren konnte. Es bleibt mir jedoch das anhaltende und klare Gefühl, dass es diesem Wesen zwar gefällt, hier in der Erde der Aue zu stehen, das Wasser des Kaiserbaches zu trinken und sich an den Winden aus dem alten Wald zu erfreuen - es scheint sich jedoch zurückzusehnen in die Sphäre, aus der es in unsere Welt kam. Ja, ich hatte geradezu das Gefühl, dass mich diese Wesenheit eindringlich bat, ihm eben hierbei zu helfen.
Ich war nicht ohne Sorge dem Rat davon zu berichten, haben wir doch genug andere Sorgen in diesen Tagen. Als ich es dann doch ansprach waren die anderen Mitglieder des Hohen Rates jedoch keineswegs überrascht, denn sie hatten alle doch in irgendeiner Form dasselbe vernommen. Selbst der Kelda, die seit jüngster Zeit als Beraterin an den Ratssitzungen teilnimmt, war der Baum im Traume erschienen, mit den mahnenden Worten: "Legt mir einen Garten an der meiner würdig ist!"

ass die Schicksalsfäden der Aue und der Welt der Drachen auf rätselhafte Art und Weise verknüpft zu sein scheinen steht wohl außer Frage. Welcher Natur diese Verbindung ist, und ob es sich tatsächlich um eine Art Spiegelung der Dimensionen handelt, konnte ich jedoch bis zum heutigen Tage nicht herausfinden. Einstweilen bleiben denn also auch diese Vorgänge um den Baum des Lebens Teil dieses Mysteriums und wir können nur hoffen, dass wir in Zukunft einst verstehen werden, was aller Rätsel Lösung war...

er Rat beschloss also einstimmig, dem Wunsch dieser friedlichen Wesenheit zu entsprechen, und so werde ich denn dieses Jahr in der Welt der Drachen einen Garten errichten für diesen Baum, mit der Erde und Liebe unserer Heimat. Ich werde ihn nach alter Tradition der Aue den vier Elementen weihen und er soll, als Ebenbild der Aue, ein Platz sein, der allen Kundigen mit friedliebenden Absichten offen steht.

m dieser zweifelsohne großen Herausforderung gerecht zu werden rief ich meine engsten Freunde und alten Weggefährten zusammen, so wie ich es schon die Jahre zuvor stets getan hatte. Wir trafen uns vor wenigen Wochen in einem kleinen Hofe unterhalb des Bockhorns südlich der Aue. Meinem Rufe jedoch folgten weniger als ich erhofft hatte - und einmal mehr wurde mir schmerzlich klar, wieviele treue Kameraden ich in den letzten Jahren hatte gehen lassen müssen...

Indes, alle die die kamen waren bereit, mir zur Seite zu stehen, mir zu folgen und stets zu vertrauen! Und so wurde ich, Corvus von der Aue, von allen bestätigt, als Hüter der Gesandtschaft - und erster unter den gleichen.

ange haben wir beratschlagt, wer in der Gruppe welche Bürde am besten zu tragen vermöge, denn ich brachte es nicht fertig, diesen alten Gefährten ihre Aufgabe einfach zuzuteilen. Mag sein, dass mir dies zugestanden hätte - ich hoffe wir haben auch so einen Weg gefunden, der allen, auch dem Willen des Hohen Rates, gerecht wird...

Marelena, meine treue Gefährtin, wird so denn als Herrin der Küche, Brotmeisterin und guter Geist der Gesandtschaft für das leibliche Wohl und die Muße des Augen-blicks sorgen,

Fynnighan, mein alter Freund, wird mir als Majordomus und Truchsess zur Seite stehen und sich, wie er es schon zuvor oft getan hat, um die Verwaltung unseres fahrenden Hausstandes kümmern.

Festus wiederum bot sich an, mein Seneschall zu sein, und sich als Meister der Kampfeskünste für den Schutz unserer Gesandtschaft verantwortlich zu zeichnen.

Zarasus folgt mir als Cancellarius und wird auf unserer Reise über den Schatz der Aue wachen, ebenso wie über die Waffen und Rüstungen unserer Gefährten,

Mori Tzukikage hingegen, bewandert in gesellschaftlichen Kreisen, übernimmt das verantwortungsvolle Amt des Herolds im Dienste der Gesandtschaft, und

Karl, großer Mann der Kelda Fiona Zinnentreffer und treuer Freund aus Kindestagen, wird als Katapultbeauftragter eben jenen für unsere Zwecke stets bereit halten.

Sarafin wiederum wird sich als unser Marketender mit all seinen Fertigkeiten um Handel und Alchemie sorgen - und um Neuigkeiten aus der Welt der Drachen.

Feronia schließlich kennt sich mit Pflanzen aus wie kein anderer in unserer Gruppe, und so wird sie, die Wala, als Hagazussa die ehrenvolle Aufgabe übernehmen, den Baum und den Garten zu hegen und zu pflegen.

un mein Meister - was denkt Ihr...?

erde ich die Kraft haben, diese Gruppe zu führen und zu leiten...? Werden mir die Gefährten auch in schweren Stunden folgen, und wird unser Ansinnen von Erfolg gekrönt sein - ja ist es überhaupt das richtige, was wir tun...?

"ertraue auf das Licht in Dir !" pflegtet Ihr mir stets zu sagen, wenn ich zweifelte - und Ihr würdet es auch in dieser Stunde zu mir sagen, da bin ich mir gewiss... So will ich denn auch diesmal darauf vertrauen, dass ich nicht fehl gehe und mich leiten lassen von jener lichten Kraft, die Ihr mir offenbartet - und die allem Dunklen wehrt.


In tiefer Verbundenheit, Euer Schüler

Corvus von der Aue